E-Mobilität: Europas Ladeoffensive gerät ins Stocken
20.10.2025: Die Europäische Union hat sich vorgenommen, bis 2030 ein dichtes Netz von 3,5 Millionen öffentlichen Ladepunkten für Elektroautos aufzubauen. In der Realität ist davon jedoch noch wenig zu sehen: Laut einer Untersuchung von Motointegrator und Datapulse Research existieren aktuell nur rund 910.000 Ladepunkte in der EU. Selbst wenn das derzeitige Bautempo von etwa 150.000 neuen Anschlüssen pro Jahr beibehalten würde, käme Europa im Zieljahr lediglich auf rund 1,7 Millionen – also nicht einmal die Hälfte des Solls. Um die Lücke zu schließen, müsste die Zahl der neuen Stationen pro Jahr mehr als verdreifacht werden.
Der europäische Branchenverband ACEA hält die offiziellen Pläne sogar für zu zurückhaltend. Nach seiner Einschätzung wären bis 2030 rund 8,8 Millionen Ladepunkte notwendig, um den erwarteten Fahrzeugbestand zu versorgen. Das entspräche einem jährlichen Ausbau von rund 1,5 Millionen neuen Stationen – eine Größenordnung, die derzeit in keinem Mitgliedsstaat erreichbar scheint.
Deutschland führt bei der Menge – aber nicht bei der Dichte
Mit über 180.000 Ladepunkten besitzt Deutschland den größten Anteil am europäischen Netz. Doch im Verhältnis zur Bevölkerung liegt die Bundesrepublik unter dem Durchschnitt. Während europaweit im Schnitt 269 Ladepunkte auf 100.000 Einwohner kommen, sind es hierzulande nur 217. Weit besser aufgestellt sind kleinere Länder wie Belgien, Luxemburg und Dänemark, die jeweils über 700 Ladepunkte pro 100.000 Einwohner bieten. In Südosteuropa hingegen ist die Ladeinfrastruktur noch kaum vorhanden. Rumänien erreicht nur 19 Ladepunkte, Bulgarien 28.
Ein positives Bild zeigt sich beim Thema Schnellladen: Knapp 16 Prozent der deutschen Ladepunkte bieten mehr als 150 Kilowatt Leistung, deutlich mehr als der EU-Mittelwert von 9 Prozent. Damit liegt Deutschland im oberen Drittel, hinter den skandinavischen Ländern, die besonders auf leistungsstarke Ladehubs setzen.
Ein Markt ohne klare Struktur
Die Untersuchung beschreibt Europas Ladenetz als zersplittert und uneinheitlich. Während in Dänemark nur vier Anbieter fast zwei Drittel des Marktes kontrollieren, teilt sich in Deutschland die Verantwortung auf mehr als 1.200 Unternehmen. Der größte hiesige Anbieter, EnBW, erreicht gerade einmal elf Prozent Marktanteil. Diese starke Zersplitterung des Anbietermarktes erschwert die Nutzung, weil Fahrer oft verschiedene Apps, Tarife und Zugangssysteme benötigen.
Europaweit ist TotalEnergies mit rund 25.000 Ladepunkten führend, gefolgt von Vattenfall InCharge und Enel X. E.ON Drive ist als einziges deutsches Unternehmen in der Spitzengruppe vertreten. Überraschend stark mischen Handelsketten mit: Lidl betreibt europaweit fast 9.000 Ladepunkte und übertrifft damit die gesamte Ladeinfrastruktur mancher Mitgliedsstaaten.
Große Lücken zwischen Stadt und Land
In Ballungsräumen ist das Ladenetz inzwischen dicht, doch in vielen Regionen klaffen weite Lücken. Besonders im Norden Skandinaviens, in Teilen Frankreichs, Spaniens und Mitteldeutschlands müssen Autofahrer teils über 40 Kilometer bis zum nächsten Ladepunkt zurücklegen. Damit bleiben die Ziele der EU-Verordnung AFIR, die Schnellladepunkte alle 60 Kilometer auf Hauptverkehrsachsen vorsieht, oft unerreicht.
Supermärkte und Handelsketten nutzen ihre Parkflächen zunehmend als Ladeorte. Die Schwarz-Gruppe mit Lidl und Kaufland gilt dabei als Vorreiter: Ihre europaweiten Standorte bieten ideale Voraussetzungen – ausreichende Stromanschlüsse, gute Erreichbarkeit und Aufenthaltszeiten, die zum Laden passen. Wo Bezahlsysteme einfach und kontaktlos funktionieren, können solche privaten Initiativen den Netzausbau spürbar beschleunigen.
Wo der Ausbau funktioniert und was in Zukunft nötig ist
Einige Länder zeigen, dass Fortschritt möglich ist: Die Türkei hat ihre Ladeinfrastruktur 2024 um mehr als 140 Prozent ausgebaut, Estland und Litauen verzeichnen ebenfalls deutliche Zuwächse. Doch insgesamt bleibt Europa weit hinter seinen Ambitionen zurück.
Um das Ziel von 3,5 Millionen Ladepunkten bis 2030 zu erreichen, braucht es mehr als nur neue Säulen – gefragt sind schnellere Genehmigungen, stabile Netzanschlüsse und verlässliche Preise. Erst wenn das Ladenetz überall funktioniert, einfach zugänglich ist und faire Konditionen bietet, kann die Elektromobilität in Europa wirklich Fahrt aufnehmen.