Kundenanlage: Rechtslücke gefährdet Mieterstrom und Quartiere – Politik muss handeln
14.11.2025: Die Energiewirtschaft steht seit dem Frühjahr 2025 vor erheblichen Herausforderungen, nachdem ein Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) massive Unsicherheiten für die Strombelieferung innerhalb von Mehrparteienhäusern, Gewerbestandorten und kommunalen Arealen ausgelöst hat. Obwohl der Bundestag im Zuge der aktuellen Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) eine Übergangsregelung beschloss, bleibt unklar, ob diese Lösung in der Praxis ausreicht – insbesondere für neue Projekte. Nach Einschätzung des Bundesverbands Solarwirtschaft (BSW-Solar) endet die bestehende Rechtslücke damit keineswegs.
Der Verband stützt sich auf ein Rechtsgutachten der Kanzlei Nümann + Siebert, das die Auswirkungen der Entscheidung detailliert bewertet. Darin wird deutlich: Das vom BGH gekippte Verständnis der sogenannten Kundenanlage hat zentrale Elemente der dezentralen Energieversorgung ins Wanken gebracht. Besonders Modelle wie Mieterstrom, gemeinschaftliche Gebäudeversorgung oder industrielle Onsite-Stromnutzung sind betroffen, da sie traditionell auf interne Verteilstrukturen angewiesen sind.
Warum das provisorische Gesetz nicht reicht
Die vom Bundestag beschlossene Übergangsphase soll die bisherige Rechtslage formal bis Ende 2028 sichern – allerdings nur für bestehende Installationen. Ob und wie diese Regel bei neuen Mieterstrom- oder Quartiersprojekten greift, bleibt weitgehend offen. Genau hier sehen die Gutachter und der BSW-Solar dringenden Handlungsbedarf. Ohne rasche gesetzliche Nachbesserung drohe vielen innovativen Versorgungskonzepten die Planungsgrundlage zu entgleiten.
In dem umfangreichen Gutachten schlagen die Juristen einen Lösungsweg vor, der den Begriff der Kundenanlage beibehält, ihn jedoch klarer und unionsrechtskonform im EnWG verankert. Vorgesehen ist eine Formulierung, die als Grundlage für künftige behördliche Auslegungen dient und sicherstellt, dass Kundenanlagen nur die grundlegenden Anforderungen erfüllen müssen, die EU-weit für Verteilnetze gelten. Damit würden sie zu einer Art „Netz light“, ohne in die komplexe Regulierung umfangreicher Energienetze zu rutschen.
Neue Bewertung durch EuGH und BGH
Auslöser der gesamten Problematik war eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom Herbst 2024, der der BGH im Mai 2025 folgte. Beide Gerichte kamen zu dem Schluss, dass grenzüberschreitende Kundenanlagen, die Entgelt verlangen und mehrere Grundstücke verbinden, mit EU-Vorgaben kollidieren. Damit fallen zahlreiche Mieterstrom- und Quartierslösungen nicht mehr unter das frühere Privileg.
Für Mieterstrom innerhalb eines einzigen Gebäudes gibt es hingegen weiterhin Stabilität. Komplexere Arealnetze sind jedoch künftig mit strengen Anforderungen konfrontiert. Dazu gehören potenziell neue Betreiberpflichten, umfangreiche Dokumentationslasten und möglicherweise der Verlust der EEG-Förderfähigkeit, wenn interne Leitungen als reguläres Verteilnetz gelten.
Folgen für laufende Projekte – und was jetzt getan werden muss
Während bestehende Anlagen auf einem Grundstück weiterhin betrieben werden können, benötigen neue Quartiersprojekte eine besonders gründliche Prüfung. Projektierer müssen damit rechnen, ihre Strominfrastruktur umfassend umzubauen oder in völlig neue Netzstrukturen zu überführen.
Angesichts dieser Entwicklungen wächst der Druck auf Politik und Behörden. Experten empfehlen, zusätzliche Kategorien wie vereinfachte Netze für kleinere Areale einzuführen und die vorhandenen europäischen Gestaltungsspielräume – etwa über Bürgerenergiegemeinschaften oder geschlossene Verteilernetze – stärker zu nutzen.
Ohne klare gesetzliche Leitplanken droht die Energiewende im urbanen Raum deutlich an Fahrt zu verlieren. Nur mit dauerhaft verlässlichen Regeln lassen sich Mieterstrom und Quartiersversorgung wirtschaftlich und rechtssicher weiterentwickeln.