BGH-Urteil zur „Kundenanlage“: Mieterstrom und Quartiersprojekte gefährdet
27.05.2025: Am 13. Mai 2025 hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit seinem Beschluss (Az. EnVR 83/20) eine weitreichende Entscheidung zur Regulierung von Kundenanlagen getroffen. In der Konsequenz wird das bisherige „Kundenanlagenprivileg“, das insbesondere Mieterstrom- und Quartiersprojekte begünstigte, stark eingeschränkt. Grundlage dafür ist ein vorausgegangenes Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 28. November 2024 (C-293/23), das die nationale Sonderregelung für Kundenanlagen als unionsrechtswidrig einstuft.
Die Entscheidung stellt zahlreiche Mieterstrom- und Photovoltaikprojekte vor erhebliche Herausforderungen. Insbesondere Arealversorgungen, die mehrere Gebäude oder Grundstücke miteinander verbinden, müssen mit einer vollkommen neuen regulatorischen Bewertung rechnen.
Was sind Kundenanlagen und was hat sich geändert?
Kundenanlagen im Sinne von § 3 Nr. 24a EnWG ermöglichten bislang, Stromversorgung innerhalb bestimmter Grenzen ohne Anwendung der regulären Netzentgelt- und Anschlussvorgaben zu realisieren. Besonders für Mieterstrommodelle war das ein zentraler Baustein wirtschaftlicher Umsetzbarkeit – vor allem, wenn mehrere Wohnungen oder Gebäude über eine interne Infrastruktur versorgt wurden.
Der BGH folgt nun dem EuGH und schließt aus, dass Stromlieferungen über Grundstücksgrenzen hinweg weiterhin als Kundenanlage gelten können, wenn sie gegen Entgelt erfolgen. Diese Praxis verstoße gegen das EU-weite Verständnis eines Verteilernetzes. Der Begriff der Kundenanlage müsse fortan so ausgelegt werden, dass nur noch hausinterne Versorgungen erfasst sind.
Klarheit für Gebäude – Unsicherheit für Quartiere
Für klassische Mieterstrommodelle innerhalb eines einzelnen Gebäudes oder Grundstücks gibt es Entwarnung: Solche Projekte gelten weiterhin als rechtlich unproblematisch und können wie bisher umgesetzt werden. Die Stromversorgung über hausinterne Leitungen bleibt von der Entscheidung unberührt.
Anders sieht es bei Quartierslösungen aus, bei denen mehrere Gebäude oder Grundstücke über ein gemeinsames Netz versorgt werden. Hier ist unklar, wie weit die Definition eines „Gebiets“ im Sinne des EU-Rechts reicht. Ohne gesetzgeberische Klarstellung droht eine Einstufung dieser Infrastrukturen als vollwertige Verteilernetze – mit allen regulatorischen Pflichten, etwa Netzbetreiberpflichten, Umlagen oder buchhalterischer Entflechtung.
Unsicherheit bei laufenden Projekten und neue Vorhaben
Bestehende Projekte auf einem Grundstück sind von der Neuregelung nicht betroffen. Anders verhält es sich bei geplanten Quartierslösungen. Hier ist eine sorgfältige rechtliche Prüfung notwendig. Projektierer müssen damit rechnen, dass ihre Netze künftig wie klassische Verteilernetze behandelt werden – ein erheblicher Aufwand, der kleine und mittlere Anbieter schnell überfordern kann.
Auch die Förderung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) ist gefährdet: Mieterstrommodelle erhalten nur dann eine Förderung, wenn der Strom nicht über ein öffentliches Netz geleitet wird. Fällt eine Anlage unter die neue Definition des Verteilernetzes, entfällt damit auch die Förderfähigkeit, was viele Mieterstromprojekte gefährden könnte.
Auch bereits existierende Kundenanlagen – beispielsweise in Gewerbegebieten oder städtischen Quartieren – stehen möglicherweise vor dem Verlust ihrer bisherigen rechtlichen Grundlage. Betreiber sehen sich nun mit der Herausforderung konfrontiert, ihre Anlagen entweder zurückzubauen, sie als geschlossenes Verteilernetz neu einzuordnen oder alternative rechtssichere Strukturen zu entwickeln. Gerade letzteres erfordert umfassende technische Anpassungen und juristische Prüfungen – ein aufwändiger und kostenintensiver Prozess.
Gesetzgeber und Behörden sind jetzt gefragt
Der Gesetzgeber steht nun unter Zugzwang. Die aktuelle Regelung ist unionsrechtlich nicht mehr tragfähig, ein einfaches Zurück zum bisherigen Modell nicht möglich. Sinnvoll wäre die Einführung eines neuen, vereinfachten Netzkonstrukts für Arealversorgungen mit überschaubarer Größe und Nutzeranzahl.
Zudem sollten bestehende Spielräume im EU-Recht besser genutzt werden. Die Strombinnenmarktrichtlinie sieht bereits heute Sonderregelungen für sogenannte „geschlossene Verteilernetze“ oder „Bürgerenergiegemeinschaften“ vor. Diese Optionen könnten – bei entsprechender Anpassung im EnWG – auch in Deutschland zur Anwendung kommen.
Kundenanlage bleibt – aber nur im Kleinen
Das Urteil schafft Klarheit für klassische Mieterstromprojekte, sorgt aber für erhebliche Verunsicherung bei Quartierslösungen. Hausinterne Stromverteilungen bleiben möglich, komplexere Versorgungsstrukturen stehen dagegen vor regulatorischen Hürden. Es ist nun Aufgabe des Gesetzgebers, praktikable und rechtssichere Modelle für die dezentrale Energieversorgung zu schaffen.
Ohne zeitnahe gesetzliche Regelung droht ein Rückschritt für die Energiewende im städtischen Raum. Der Ausbau von Mieterstrom und Quartierslösungen braucht verlässliche Rahmenbedingungen – angepasst an moderne Versorgungsrealitäten und im Einklang mit europäischem Recht.